Donnerstag, 28. März 2013

Kino machen - und sterben



„Warum machst Du eigentlich kein Kino“, ist eine Bemerkung, die ich öfter höre. Der Fragesteller ahnt dabei nicht, wie nahe er mit dieser Formulierung der Wahrheit kommt.
Es ist, meiner Erfahrung und Wahrnehmung nach, nämlich tatsächlich so, dass man in der hiesigen Szene als Drehbuchautor nicht einfach für das Kino arbeiten kann. Man schreibt nicht, man „macht“ Kino. Oder man macht es eben nicht. Dazwischen gibt es nichts. Das musste ich bei meinen bisherigen Versuchen, auch in dem Großleinwand-Medium der bewegten Bilder Fuß zu fassen, lernen.

Natürlich will jeder Drehbuchschreiber auch gerne auf die große Leinwand, also auch ich. Bei meinen ersten Versuchen auf dem Weg nach Hollywood stolperte ich in der deutschen Kinolandschaft herum und erwanderte mir nach und nach deren Topographie.

Es gibt auf der Landkarte des germanischen Filmschaffens zwei hohe Berge.

Eher im Osten reckt sich das Massiv der Literaturverfilmungen in die Höhe. Bei denen ist der Markt sehr eng und wird er von wenigen Autoren beherrscht, mit denen die Produktionen schon immer arbeiten. Warum also jemand anderes ausprobieren? Es herrscht eine geschlossene Gesellschaft, man kennt und schätzt sich und braucht keine Fremden. Falls man überhaupt einen Autor braucht, denn oft genug schreibt der Regisseur selbst. Anfragen Familienfremder bezüglich Mitarbeit und/oder Autorenschaft werden gar nicht erst beantwortet.

Richtung Süden findet man dann die zerklüfteten Höhen der kommerziell wirklich erfolgreichen Produktionen, die fast ausschließlich den Sektor des teutonischen Humors bedienen. Bei denen gibt es sogar nur einen einzigen Autor, der seit Jahrzehnten der Platzhirsch ist und Kraft besonderer, persönlicher Freundschaft IMMER die Bücher schreibt. Anfragen sind dort zwecklos.
Diese ersten beiden Kinofilm-Klassen sind relativ nüchtern, kühl, eben Felsmassive, mit gut organisierter Förderungs- und Auswertungskette versorgt und professionell auf einen kommerziellen Erfolg ausgerichtet.

Dazwischen gibt es die Sümpfe, Urwälder, Dickichte und Steppenlandschaften, sogar ein paar Wüsten. Dort kämpfen die „Filme-Macher“ um das tägliche Überleben. Auch wenn sie völlig unterschiedliche Landstriche behausen, sind sie doch relativ leicht zu erkennen an ihrem derben Schuhwerk, den Cordhosen, dem Kurzmantel, dem Schal, der obligatorischen, flachen, Cabriofahrer-Mütze und ganz wichtig und nicht zu vergessen, den dicken geränderten Hornbrillen, ggf mit Fensterglas ausgestattet, falls die Sehstärke doch noch 100% beträgt. Diese Macher versammeln sich periodisch an verschiedenen Orten des Landes und bevölkern dort die Szenerie rund um kinematographische Veranstaltungen, in denen es eine Programmsparte gibt, die sich etwa „Junges, Deutsches Kino“ nennt.
So sehe ich meine Freunde jedes Jahr auf der Berlinale wieder und so rudeln sie auch bei anderen Gelegenheiten wie Filmfesten, Preisen und Empfängen herum und strahlen Kompetenz, Kreativität und Lässigkeit aus. Zumindest versuchen sie es meinem Empfinden nach.
Mit dieser spannenden Spezies hatte ich einmal näher zu tun. Mit bemerkenswertem Resultat.

Vor ein paar Jahren kam ich im Rahmen einer Serienproduktion in Frankfurt mit der regionalen Kinoszene in Kontakt, wurde immer mal wieder Leuten vorgestellt und zu Veranstaltungen eingeladen. Dabei sprach mich ein Produzent an, dem nach eigenem Bekunden der Autor abhandengekommen war, mit dem er immer gearbeitet hatte. Er gab an, dass er ein großer Fan meiner Filme sei und unbedingt mit mir zusammen arbeiten wolle. Nun waren mir in meiner Karriere bereits einige Schwätzer mit riesigen Rosinen im Kopf begegnet, die mir nur meine Zeit gestohlen hatten, so dass ich vorsichtig war. Ein paar Recherchen zeigten mir aber, dass der Betreffende als Produzent durchaus einen Namen und auch schon Filme mit beachtlichem Erfolg ins Kino gebracht hatte.

Also sagte ich nicht nein und erhoffte mir den Einstieg, der mir bis dahin verwehrt geblieben war. Ich bekam in der Folgezeit, die sich etwa zwei Jahre hinzog, genau diesen Einstieg und vor allem Einblicke in eine Welt, die sich mir so bizarr und fremd zeigte, das ich immer wieder nur staunend und verständnislos dazwischen stand.

Ich fand nach und nach heraus, dass die Abläufe bei dieser Art Filmproduktion sich so fundamental von denen unterscheiden, die ich kenne, wie Sylt vom Himalaya. Wie ich erfuhr, hatte bei den bisherigen Filmen der Drehbuchautor während der Produktion in der Wohnung des Produzenten gehaust und sich jede Seite praktisch abgequält. Szene für Szene und häufig genug erst am Tag des Drehs geliefert. Die Filmcrew bestand aus lauter Freunden, Bekannten, Freunden der Bekannten und deren Anverwandten, die alle „zum Film“ wollten und daher bereit waren, „auf Rückstellung“ zu arbeiten. Das heißt, man opfert sich und sein vollständiges Leben wochen- bis monatelang „der Sache“, um dann irgend wann einmal, vielleicht und in ferner Zukunft, nach Abzug aller, aber wirklich aller Herstellungs-, Vertriebs-, Kopien-, Lager-, Recylings- und sonstiger -kosten bezahlt zu werden.

Eine Zukunft, die übrigens praktisch nie eintritt…

Nicht nur während des eigentlichen Drehs, sondern bereits während der Vorbereitungen verschwindet jeder der Teilnehmer vollständig aus seinem sonstigen, sozialen Umfeld, lässt Familie Familie sein, Freunde Freunde, Geliebte Geliebte und widmet sein gesamtes Leben nur noch diesem einen Film. Er spricht, isst, trinkt, raucht, lebt, wohnt, und schläft nur noch mit den anderen aus dem Team, das am „Projekt“ beteiligt ist und nimmt den Rest der Welt nur noch durch einen dicken Nebel wahr. Nur wer ein richtiger „Rock’n Roller“ ist/war, war in der Lage, Teil eines solchen symbiotischen Gebildes zu werden. Was immer ein Rock’n Roller auch ist/war. Erklären konnte es mir bis heute keiner.
Ich bin kein Musiker. Ich bin Drehbuchautor, der, wenn er einen Auftrag bekommt, seine ganze kreative Energie diesem widmet, um das Bestmögliche zu machen. Meine Kreativität. Nicht mein gesamtes Leben. Doch in den Kreisen, die ich in der Folge kennenlernte, war es offenbar nicht möglich, irgendetwas Filmähnliches zu gebären, ohne die für eine Niederkunft typischen Schmerzen entweder selbst zu haben und zu erleiden oder wenigstens bei anderen zu erzeugen. Ohne persönliche Dramen, Trennungen, Fremdgehen und fremdgegangen werden, Scriptgirlschwängereien und Alkohol- oder Drogenexzesse war es in dieser Szene wohl nicht möglich, ein kinematographisches Produkt zu erzeugen.

Hätte man mir das, was ich hören und erleben sollte, vorher geschildert, ich hätte den Sprecher als vorurteilsbeladen und Verbreiter plattester Klischees ausgelacht.
Aber heute möchte ich es so ausdrücken: was immer auch an Vorurteilen über die Kino-Filmszene kursiert, sie erfassen nicht einmal die Hälfte der Realität.
Das betrifft nicht nur die Haltung zum Leben und Werk an sich. Es betrifft auch die Art und Weise der Arbeitsabläufe.

Eine Filmproduktion war bis dahin für mich eine klar strukturierte Angelegenheit. Es gibt eine Geschichte, die ein Produzent realisieren will. Er erteilt einen Drehbuchauftrag, der Autor schreibt mehrere Fassungen, bis eine so weit steht, dass ein Regisseur gesucht und hinzugezogen wird. Mit dem zusammen wird eine Drehfassung erarbeitet, die schließlich nach einem generalstabmäßig ausgearbeiteten Drehplan und einem festgelegten Budget verfilmt wird. Man kümmert sich zunächst intensiv um das WAS des Films, dann um das WIE der Realisation.

Nichts, aber auch gar nichts davon fand ich bei meiner Expedition ins Kinoreich wieder. Das fing schon einmal damit an, dass die Stoffe, die ich dem Produzenten präsentierte, zwar auf eine Art Wohlwollen stießen, er aber viel mehr daran interessiert war, dass ich und SEIN Regisseur sich kennenlernten, um festzustellen, ob die Chemie stimmte.

Zur Vorbereitung erhielt ich das gesamte Oevre des Betreffenden auf DVD. Es waren zwei Kurz- und ein Fast-Langfilm. Ich fand das Übliche, was mich am deutschen Kino immer wieder so „begeistert“. Eine ordentliche bis bemerkenswerte szenische Phantasie, die Fähigkeit, Figuren zu führen und Situationen zu schaffen – aber absolut keinen Plan, was eine Story und einen Spannungsbogen betrifft, die die Einzelszenen irgendwie zusammen halten. Das schreckte mich nun nicht. Vielmehr war der Gedanke: Gut, hier wirst Du wirklich gebraucht.

Das erste Kennenlernen gestaltete sich für mich dann etwas schwierig. Der designierte Regisseur interessierte sich nämlich für keinen der Vorschläge, die ich mitgebracht hatte. Er wollte vielmehr einen Film machen, über… Ja, und genau da fing das Problem an. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er einen machen wollte. Irgendwie. Er hatte keine Ahnung über wen oder was oder wohin die Reise gehen sollte, hatte keine Geschichte, die ich für ihn erzählen sollte, kein Thema, das seins war, sondern er sprang immer wieder nur mit Begeisterung auf Momente und filmische Einfälle, die er mir detailliert erzählte, die aber ohne jeden Zusammenhang waren.
Es sollte also ein Film werden.
Irgendwie.
Über zwei Brüder.
Oder auch nicht. Vielleicht auch Schwestern. Da hatte er schon eine ideale Besetzung, der mit der Schauspielerin XY konnte er gut, weil die seinen Kurzfilm Z so toll fand.
Und er wusste genau, wen er im Team haben wollte, wer Kameraassistent werden wollte und wer schneiden sollte. Darüber konnte er sofort mit dem Produzenten in eine eifrige Debatte einsteigen, bei der jedes Für und Wider ausdiskutiert wurde. Und Filmförderung, und Drehbuchförderung und Incentive-Förderung und Wirtschaftsförderung und Investitionsbank und Verbindungen waren Themen. Gerne genommene und breit debattierte.
Ich kam mir vor, wie im falschen… Ja. Film. Da wurde das Fell des Eisbären verteilt und man befand sich noch in der Sahara.

Das war der Punkt, an dem ich einen monumentalen Fehler machte. Ich vergaß, mich höflich zu verabschieden und wieder in die Niederungen des Fernsehgeschäfts abzutauchen.
Ich sagte zu, die Ideenspermien einem meiner Eier zuzuführen, eine Art von Exposé zu fertigen und kurzfristig vorzulegen. Was ich tat. Das Papier stieß beim Produzenten auf Begeisterung, beim Regisseur auf ein zurückhaltendes, er werde sich das dann mal anschauen. Was der nächste Moment war, in dem ich hätte rennen sollen…

Der Entwurf wurde von mir ausgearbeitet und in Rekordzeit präsentabel gemacht, um damit eine Förderung zur Stoffentwicklung zu bekommen, deren Antragstermin in ein paar Tagen ablief. Es gelang mir, diesen Termin einzuhalten. Beigetragen hatte bis zu diesem Zeitpunkt außer mir konstruktiv noch keiner was. Das Papier kam in der betreffenden Kommission an und es gab die Förderzusagen. Woraufhin ich mich mit dem Produzenten auf das Buchhonorar einigen musste. Der wollte nur einen kleinen Teil des zugesagten Geldes in das Drehbuch selbst investieren. Denn er hatte ja auch Kosten. Immense Kosten. Wider besseres Wissen ließ ich mich auch darauf ein und machte mich an die Arbeit.

Zunächst gab es von meiner Seite aus ein noch viel ausführlicheres Exposé. Ich wollte nämlich nach den Erfahrungen, die ich bis dahin gemacht hatte, keinesfalls einfach ins Blaue schreiben und darauf warten, bis sich der selbsternannte Star-Regisseur (der mir mit seinem Habitus schon nachdrücklich auf die Nerven ging) dann dazu herabließ, den Daumen zu heben oder zu senken.
Ich zwang alle an einen Tisch. Doch diese Besprechung war eine ziemlich einseitige Angelegenheit. Es kam einfach nichts zurück. Der Tenor war: ja, gut, probieren wir das mal.

Ich „probierte“, schrieb das Drehbuch, verschickte es und hörte – erst mal nichts. Gar nichts. Überhaupt gar nichts. Als es mir zu bunt wurde, rief ich den Produzenten nach etwa drei Wochen an. Er redete am Telefon herum, wir müssten sprechen. Ja bitte. Also, ja, so hätte er sich das nicht vorgestellt und der Regisseur auch nicht. WAS sie sich vorgestellt hatten, hatten sie bedauerlicherweise bis zu diesem Zeitpunkt in keiner Phase geäußert. Als ich das sagte, wurde es nachgerade grotesk. Der Produzent regte sich auf. Er war überzeugt davon, dass er mit mir die ganze Zeit ununterbrochen in Kontakt gestanden hatte und dass er mit mir „das doch alles besprochen“ hatte.

Ich musste ihn vorsichtig darauf hinweisen, dass dies keineswegs der Fall war. Sondern dass er sich nur sehr sporadisch gemeldet hatte und dabei immer wieder für mich sehr kryptische Äußerungen getätigt hatte, die ich maximal als unverbindliche Vorschläge betrachtet hatte, da sie mit der Story absolut nichts zu tun hatten und sich in erster Linie auf Locations bezogen. Nicht auf Handlung, Figuren, Perspektiven, Persönlichkeiten. Oder gar den Plot.

Was ich erst nachher verstand, war, dass der Regisseur und der Produzent praktisch ständig mit einander gesprochen hatten. Sie hatten nächtelang  herumassoziiert, debattiert, Besetzungen, Szenen, Situationen gewälzt und sich in der Vorstellung ergötzt, dass ich all das schon in Worte kleiden würde.

Sie hatten nur eine Kleinigkeit vergessen.

Nämlich mit MIR darüber zu sprechen. In dem Moment, in dem sie etwas bekaspert hatten, hatte es sich ihrer Wahrnehmung nach auch schon per Metamorphose auf den Weg zu mir gemacht und wurde von mir beim Schreiben bedacht.
Ohne dass irgendwann einmal jemand ein Wort darüber verloren hatte!
Nun waren sie enttäuscht. Weil ich einfach nicht Gedanken lesen konnte.
Meiner Reaktion war sinngemäß: okay, dann weiß ich jetzt wenigstens, was Ihr NICHT wollt. Ich bin allen KONKRETEN Änderungswünschen gegenüber aufgeschlossen. Doch die kamen nie. Vom Regisseur erhielt ich lediglich ein Dreizeiler per Mail. Er könne damit nichts anfangen. Mehr nicht.
In Filmproduktionen, wie ich sie kenne, ist das der Zeitpunkt, zu dem man sagt, gut, das kann vorkommen. Schauen wir mal, wer alternativ als Regisseur dafür in Betracht kommt. Aber das passierte hier nicht. Es ging nicht um die Geschichte, die ich geschrieben hatte. Es ging darum, dass genau dieser Regisseur einen Film machen sollte. Irgend einen. Weil irgendjemand in irgendeinem Filmfördergremium einen seiner Kurzfilme so richtig toll fand.
Ein anderer Regisseur stand nicht zur Debatte.
Eine neue Fassung ebenfalls nicht.
Und die Zahlung der restlichen, kleinen Rate auch nicht.

Das Projekt war gestorben.

Und für mich war eins klar. Nie wieder, in meinem ganzen Leben nicht, würde ich mich mit „Rock’n Rollern“ auf eine Filmproduktion einlassen.

Was immer ein Rock’n Roller sein mag.

Ich weiß immer noch nicht, was ein Rock’n Roller ist.

Ich weiß nur, dass ich keiner bin. Wahrscheinlich eher das Gegenteil davon.

Der betreffende Regisseur hat bis heute keinen Kinofilm zu Stande gebracht und setzt nun wieder als Werbefotograf Autos ins Bild. Und anderes.

Der Produzent ist immer noch in der Szene unterwegs, immer noch ambitioniert und mit viel Herzblut, aber einen Erfolg wie der, der ihn ins Kino gebracht hatte, hatte er bislang auch nicht wieder.

Mein Drehbuch von damals hingegen hatte Spätfolgen. Die Geschäftsführerin einer Film- und Fernsehproduktion, die in einem der Fördergremien war, bekam es zu lesen und setzte daraufhin ihren Producer auf mich an, der für sie eine Krimi-Reihe betreute. Für den schrieb ich dann zwei 90er, die jeweils Regisseure fanden, die etwas damit anfangen konnten.

Was ich daraus gelernt habe?

Diese Art von Kinofilmproduktion ist nicht meine Welt.

Ich schreibe Drehbücher, um davon zu leben, nicht um dabei mindestens dreimal zu sterben. Ich möchte Geschichten erzählen und nicht Szenen zusammenhanglos „kinoesk“ vergeheimnist aneinander hängen.

Ich habe es gerne, wenn am Ende, nach Abschluss meiner Arbeit ein Film herauskommt.

Ich will mich nicht mit 27 Freunden möglichst lange orientierungslos auf einem unbekannten Weg herum treiben. Der Weg ist in diesem Business ganz bestimmt nicht das Ziel. Sondern ausschließlich das Resultat.

Insofern bin ich kein Filmemacher. 

Sondern viel lieber ein Filmgemachthaber.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen