Dienstag, 9. April 2013

Ein genialer Einfall

oder: Auch Autoren leben gefährlich




Für gewöhnlich gehört die Arbeit als Drehbuchautor zu den eher ungefährlicheren, was die Berufsgenossenschaft natürlich nicht dran hindert, einen Schreiberling nebst seines Betriebes mit Zirkusartisten und Stuntleuten in eine Gefahrenklasse einzusortieren.

Aber ab und zu kommt es dann doch vor, dass der Autor als solcher einer realen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt ist, wenn er es einmal wagt, den heimischen Schreibtisch zu verlassen.

Vor einiger Zeit hatte ich die Dramaturgie für eine umfangreiche Serie übernommen. Dramaturgie heißt, daß ich einen Teil der Bücher selbst schrieb und die anderen zusammen mit den weiteren Autoren entwickelte, betreute und nötigenfalls dann auch noch überarbeitete. Das brachte automatisch eine größere Nähe zur Filmherstellung, als sie ein Autor sonst kennt, dessen einzige Ansprechpartner der Redakteur und der Producer sind. Doch je näher und greifbarer ein Autor, desto gefährdeter ist er, in jeder Hinsicht, wie ich lernen musste.

Ein Filmteam besteht aus bis zu 150 Leuten, wobei jeder Helfer noch einen Hilfshelfer hat usw.
Leider ist es so, daß die Hilfshelfer dabei oft den allergrößten Ehrgeiz entwickeln und ganz genau wissen, wie man alles noch viel toller und besser und vor allem mit ihnen machen könnte. So geschah es mir mit einem Beleuchtungshelfer, der bei mir anrief und eine halbe Stunde über eine ganz tolle Story schwadronierte, die er sich ausgedacht hätte.
"Na schön", sagte ich schließlich irgendwann mit blutenden Ohren. "Schicken Sie mir mal ein Exposé, ich werde es mir wohlwollend ansehen.“

Das Exposé kam am nächsten Tag per Eilzustellung, der Anruf, ob es denn da sein, ein halbe Stunde vor dem Eintreffen der drei Blätter.

Zu der Zeit gab es gerade eine Erpressungswelle gegen einen Lebensmittelhersteller. Vergifteter Senf, Ketchup und sonst was.
Wie immer bei solchen Gelegenheiten hatte ich schon etwa 15 Lebensmittelerpresser-Geschichten auf dem Tisch. Von denen waren 4 wenigstens Geschichten, wenn auch nicht originell.
Was der Beleuchtungshelfer da jedoch einreichte, war aber weder originell noch eine Geschichte.
Auf dem Papier stand im Grunde nicht mehr als: "Dieser Film wird eine Handlung haben. Vielleicht."
Dafür hatte der Kandidat aber nicht weniger als 11mal auf den drei Seiten vermerkt, dass das Copyright ausschließlich bei ihm läge.

Er bekam noch am selben Tag eine Absage von mir.
Sehr knapp formuliert, wobei ich es mir aber nicht nehmen ließ, darauf hinzuweisen, dass auch der exzessive Gebrauch von ©s nicht dazu führen würde, dass seine Geschreibsel auch nur eine einzige schutzfähige Idee beinhaltete. Damals war ich noch etwas undiplomatischer als heute mit fortgeschrittenem Alter. ...

Jedenfalls kam keine drei Tage später ein wutschnaubender Brief zurück, in dem der geniale Geschichtenerzähler androhte, dass er jetzt aber ganz genau beobachten würde, was in den nächsten Jahren verfilmt würde und wehe, wehe, wenn irgendjemand auf die Idee käme, seine großartige und einzigartige Idee zu stehlen...
Und sein Anwalt und sofort und sowieso...

Nachdem ich mit dem Lachen fertig war, schrieb ich ihm einen Brief zurück. Tenor war, dass ich eigentlich was Besseres zu tun hätte, sein Schreiben uns aber alle so amüsiert hätte, dass er eine Antwort verdiene. Dann machte ich ihm klar, dass ich in jedem Fall einen der vielen Vorschläge, die ich zum Thema Erpressung eines Konzerns bekommen hatte, weiterverarbeiten würde.
Und er könne schon mal seinen Anwalt losschicken.
Aber bei dem Streitwert würde ihn schon der erste Brief seines Advokaten mehr als einen Monatsverdienst kosten.
Und wir wären alle sehr gespannt.

Ich bekam weder eine Artwort noch ein anwaltliches Schreiben.

Ein Jahr später waren wir mit der Staffel fertig, hatten nicht weniger als 22 Folgen gedreht und es gab ein großes Abschlussfest in Berlin.
Dort schlich die ganze Zeit ein mir unbekanntes, untersetztes Wesen in einem schlechtsitzenden Anzug um mich herum, bis ich endlich mal allein in einer Ecke stand.

Der Typ kam dann zu mir, meinte, er müsse mir doch jetzt auch mal die Hand drücken, tat dies, ließ sie nicht mehr los und sagte seinen Namen.
Der mir wiederum überhaupt nichts mehr sagte, weil ich diese Sache längst vergessen hatte.
Ich bedauert, ob er mir vielleicht einen kleinen Tipp geben konnte.
Er nannte einen Titel.
Nichts klingelte bei mir.
Da ich aber für manche Sachen ein grauenhaftes Gedächtnis habe, wie Namen, Gesichter, Titel usw. befürchtete ich, dass ich einen meiner größeren Blackouts hatte, einer der letzten Filme vielleicht diesen Arbeitstitel haben könnte und ich bedauerte nochmal, dass ich offenbar einen kurzen Aussetzer hätte.

Doch dann sagte er mir mit bekifftem, breiten, aggressiven Grinsen, immer noch ohne meine Hand loszulassen, wenn er mich nochmal irgendwo sehen würde, würde es ohne große Umwege und Vorwarnung direkt ein paar auf´s Maul geben. Weil so Typen wie ich das nicht besser verdienten und Dramaturgen sowieso das allerletzte seinen, niederste Kreaturen, eigentlich keine Existenzberechtigung hätten und gar nicht als Menschen bezeichnet werden dürften usw.

Ich wusste nun überhaupt nicht, was ich mit diesem Exemplar anfangen sollte. Zur Verdeutlichung der Situation vielleicht ein paar technische Angaben. Ich bin 1,87 groß und eher quadratisch. Mein Gegenüber war vielleicht 1,70. Außerdem habe ich einmal eine sehr gründliche Ausbildung erhalten, wie man mit körperlich aggressiven Menschen umgeht.
Also die Wahrscheinlichkeit, dass er mir irgend einen Schaden zufügen konnte, war relativ gering.

Glücklicherweise erschienen dann der Produktionsleiter und ein befreundeter Regisseur, mit dem ich gerade einen sehr erfolgreichen Film gemacht hatte und entführten mich aus der Obhut meines Bedrohers. Ich fragte dann den PL, ob es üblich sei, dass irgendwelche Helfer leitende Mitarbeiter der Produktion mit Totschlag bedrohten.
Der PL, ein eher resoluter Mann, meinte dazu nur kurz und knapp: "Was? Dann wollen wir denn Herrn mal an die Luft setzen“, schnappte sich zwei der Securities und machte sich auf die Suche nach dem verhinderten Totschläger. Aber der hatte sein Pulver offenbar schon verschossen und das Weite gesucht.

Auf jeden Fall kam sein Name dann auf eine sehr rote Liste der Leute, die auf keinen Fall nochmal einen Job beim betreffenden Produzenten bekommen würden.

Ich bin zwischenzeitlich etwa 100mal wieder in Berlin gewesen.
Aber glücklicherweise hat mich dieser verhinderte Erfolgsautor bis heute nirgendwo erwischt.
Obwohl ich immer wieder zittere, sobald ich den Boden der Hauptstadt betrete und dunkle Ecken meide...



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