Ich bin kein Computerspieler. Ich weiß, dass die Monitorzockerei Suchtpotential
hat. Vom Moorhuhnschießen bekam ich mal eine Sehnenscheidenentzündung und wies
meine damalige Sektretärin an aufzupassen, dass ich nicht mehr als 20 Spiele
nacheinander in Angriff nahm. Danach war ich geheilt. Aber ich befasse mich
notgedrungen mit dem Thema, denn ich will wissen, was meine Teens so treiben
und wen oder was sie abschießen. Ich lese regelmäßig eine Zeitschrift, deren
Redakteure eine überraschende Wortgewandtheit, Selbstironie sowie kritische
Haltung zu der Industrie zeigen, über die sie berichten.
Man kann ja auch mal etwas loben, wenn man nicht dafür bezahlt
wird.
Die Zeitschrift nennt sich GameStar.
Dort gabe es nun eine Meldung, die bei mir einiges Stirnrunzeln verursachte.
E. A. Games stellt sein Engagement in Social-Games ein. Das ist für mich an
sich eine gute Nachricht, denn nichts ist enervierender, als mit dem Nachwuchs
am Tisch zu sitzen, zu essen und zu reden – und ständig muss an einem
Bildschirm herumgefummelt und gekratzt werden, weil irgendwelche Hühner
gefüttert, Rinder verkauft und Eier gebrütet werden. Müssen. Unbedingt und
während des Gesprächs.
Was mich nun am terminierten Dahinscheiden von simuliertem Leben bei
Gesichtsbuch und anderen irritiert, ist nicht die Tatsache, dass es kommt.
Sondern die, dass es keinen Aufschrei gibt. Kein Mediengepolter. Keinen
Shitstorm. Keine Attacken auf Firmenhomepages und Server. Keine anonymen,
hinter Guy Fawkes Masken verborgenen Gewaltaktionen und –drohungen.
Das passt und es fügt sich in die Reihe der Merkwürdigkeiten ein, die
ich in den letzten zwei Jahren beobachtet habe.
Da war es einer wild zusammengewürfelten Gruppe gelungen, ohne ernsthafte Absichten die
Schicht der multimedialen, politkfernen Freibiergesichter zu aktivieren, indem
sie ihnen alles umsonst im Netz versprach – und unversehens sah sich diese „Partei“
in der Verlegenheit, Mandate annehmen zu müssen. Dieses Phänomen der
selbsternannten Seeräuber, bei denen sich einzelne Protagonisten nicht entblödeten,
ein Menschenrecht auf Raubkopie zu postulieren, hat sich ja nun weitestgehend von
selbst erledigt.
Mit der zugehörigen Lächerlichkeit und Peinlichkeit.
Was mir während deren Hoch-Zeit gewaltig auf die Nerven ging, war die
Tatsache, dass zwar jeder Kreative, der es wagte, für die Nutzung seines
geistiges Eigentums einen Ausgleich zu verlangen, attackiert, verleumdet,
bedroht wurde, auf der anderen Seite diese Korsaren in Bezug auf ihr eigenes
Medium und damit die ureigene Klientel geradezu sensationell blind waren/sind.
Nun gut, vielleicht trägt die Augenklappe dazu bei, auf der einen Seite
nichts wahrzunehmen.
Satan gleichgesetzt wurde ein Schriftsteller, der vorsichtig den Finger
hob und sagte: „Ähm, hallo, also, ja. Ich habe nichts dagegen, dass Menschen
mein E-Book lesen. Ich habe nur etwas dagegen, dass sie meinen, sie müssten das
mit einem Exemplar tun, das sie von einem ukrainischen Server heruntergeladen
haben. Mein E-Book kostet nur 4,99. Und ich LEBE davon, dass ich es verkaufe.“
Doch die Menschen, die die multimedialen Politbauernfänger dort
abholten, wo sie standen, hatten ABSOLUT kein Problem damit, für ein
Computerspiel 60 Euro auszugeben. Und sie hatten kein Problem damit, dass es
dieses Spiel eben nicht im ach so freien Netz zum Runterladen gab, denn damit
konnte niemand etwas anfangen. Das tolle Zauberwort der Spieleindustrie hieß
nämlich Online-Bindung. Wer spielen musste, brauchte einfach eine permanente
Internetanbindung zum Vertreiber der Ballerorgie – sonst ging gar nichts. Dort
hatte man einen Account, in den man alles an Daten eintrug, was der Anbieter
verlangte, einschließlich der Schuhgröße der Großmutter und des Geschlechts der
kleinen Schwester. Fragen? Nö. Null Problemo! Klar, machen wir doch. Millionenfach.
Und es hatte auch kein seefahrender Eigentumsdynamiker Schwierigkeiten damit,
dass so ungefähr alles an Daten, was auf dem Spielerrechner war, eingesehen,
registriert und auch mal beim Vorübergehen verändert werden konnte. Und falls der Spieler nicht mehr spielen wollte, konnte/kann er sein Game nicht einmal
weiterverkaufen. Weil es an ihn und seinen Account gebunden ist. Für immer und ewig.
Alles kein Problem. Da schrie niemand auf, die rief niemand nach der
ganz großen Freiheit im Netz und virtuellen Leben, da gab es keine
gewalttätigen Feldzüge gegen Abzockerkonzerne. Auf diesem Auge herrscht
Blindheit, die schon an Blödheit grenzt(e).
Und was passiert jetzt?
Ein großer Anbieter zieht sich ganz kurzfristig
aus einem Segment des Spielemarktes zurück. Das ist im Grunde sein Recht, wenn
es sich um ein echtes, freies Angebot handelt. Das war bei den betreffenden
Spielen der Fall. Aber nur im Prinzip. Denn auch bei den Free to Play Games
herrscht das Motto „Geld regiert die Welt“. Wer reale Kohle hat und einsetzt („Free
to Pay“) kann sich viele Mühen für das Fortkommen im Spiel sparen, indem er
sich Fortschritte und Ausstattungen kurzerhand kauft. Bzw. eine spielinterne
Pseudowährung, mit der diese Dinge bezahlt werden und bald wurden. Was passiert
nun damit? Menschen haben Geld für erwartete Vorteile ausgegeben. Und was sagt
der Anbieter jetzt? April, April und tschüss. Rückerstattung? Keine Rede. Die
Spieler, die Echtgeld investierten, dürfen sich abgezockt fühlen. Und auf eine
sensationell zynische Art vorgeführt. Meint doch E. A. dem Vernehmen nach bei
empörten Reklamationen, man solle eben sein Spielgeld schnell bis zum
Abschaltetag ausgeben. Für Ausrüstung und Fortschritte in einem Spiel, das es
dann nicht mehr gibt.
Großartig.
Ein Skandal. Für die, die es betrifft. Mich betrifft es nicht, also ist
es mir ziemlich egal.
Nicht egal sollte es denen sein, die die Betroffenen zu den Urnen
getrieben haben. Ist es aber. Vollkommen. Kein Kommentar von irgendeinem
Netzfreiheitaktivisten. Kein empörter Aufschrei. Keine Gesetzesinitiative gegen
Online-Gamer-Abzocke.
Spannend. Da gab es tatsächlich mal eine Gruppe, von der die
Digitalsüchtigen dachten, sie würde sie und ihre Interessen vertreten. Eine
Gruppe, die die real existierende Parteienlandschaft durcheinander wirbelte und
auch gestandene Politiker dazu brachte, das Denken einzustellen und dämliche
Phrasen zum Urheberrecht abzusondern, in der Hoffnung, in den Fischgründen der
Korsaren einen guten Fang zu machen.
Und irgendwie ist es irgendwem gelungen, genau diese potentiellen
Interessenvertreter davon abzubringen, die Interessen dieser Klientel
tatsächlich dort zu vertreten, wo sie betroffen sind und bedroht werden.
Erfolgreich wurden sie auf Nebenkriegsschauplätze gelockt, während die
Richtigen sich still und leise und unerkannt die Beutel vollmachten und machen.
Der Verschwörungstheoretiker hätte seine Freude an dem Szenario…
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